von Esther Geisser, Organisation NetAP (Network for Animal Protection), 10.09.2013
Wie alles begann: Der Diktator Ceausescu lässt ab Ende der 70er Jahre immer mehr kleine Häuser mit Gärten abreissen, damit Platz für Plattenbauten entstehen können. Die umgesiedelten Bewohner dürfen ihre Hunde nicht mitnehmen. Sie setzen sie auf der Strasse aus, dort vermehren sie sich immer mehr. Die Regierung schaut weg.
Obwohl der Staat Gelder für die Hunde budgetiert, kommen diese nie bei den Tieren an. NGO’s kommen ins Land und versuchen zu helfen. Sie schaffen es nicht, so viele Tiere zu kastrieren, wie nötig wären, damit die Population nicht mehr weiter ansteigt. Die Regierung schaut weiterhin weg.
Und irgendwann leben allein in der Hauptstadt Bukarest ca. 65‘000 Hunde auf den Strassen. Hunde, die das gleiche wollen, wie die Menschen: Leben. Sie kämpfen jeden Tag um ihr Überleben, schliessen sich, wie es in ihrer Natur liegt, zu grundsätzlich friedlichen Rudeln zusammen. Ein paar wenige von ihnen werden tatsächlich zur Gefahr. Denn nachdem die Hunde laufend mit Steinen beworfen und mit Tritten traktiert worden sind, einige von ihnen gar vor den Augen anderer Hunde totgeschlagen oder vergiftet wurden, haben sie eines gelernt: Der Mensch ist eine Gefahr für sie! Die Regierung schaut weiterhin weg.
Die Regierung will immer noch keine vernünftige Lösung für das Problem, schliesslich leben viele Politiker und Behördenmitglieder recht angenehm mit den eigentlich für die Hunde bestimmten Gelder. Wozu artgerechte Tierheime bauen und unterhalten oder Kastrationsprogramme fördern. Man kann ja einfach immer mal wieder zahlreiche Hunde töten lassen, damit es ein paar weniger werden. Nun ist es aber illegal, gesunde und friedliche Hunde zu töten. Doch daran kann eine Regierung doch sicher was ändern.
Tierschutzorganisationen warnen vor solchen Überlegungen und zeigen auf, dass (Massen)Tötungen noch nie zum Erfolg geführt haben, was jahrelange Studien belegen.
Die Regierung will die Tötungen dennoch durchsetzen und beschliesst diese im Jahr 2011. Sie scheiterte aber damit Anfang 2012 vor dem rumänischen Verfassungsgericht. Die Regierung zieht sich nach dieser Niederlage zurück, um sich neu zu beraten, wie man die Hunde dennoch loswerden kann, ohne das Millionengeschäft mit ihnen zu verlieren.
Und da passiert der Glücksfall: Ein kleiner Junge stirbt. Angeblich soll er durch Hunde zu Tode gebissen worden sein. Aber wie er tatsächlich gestorben ist, weiss niemand so genau. Eine fundierte Überprüfung der Todesursache wird nicht als nötig erachtet, denn für die Regierung ist der Tod des Kindes ein Geschenk des Himmels. Man gibt also einfach die Schuld den Hunden, verdrückt öffentlich ein paar Tränen, spricht von der grossen Gefahr in der sich die Kinder befinden. Damit bewegt man die Herzen und lenkt so vom Hauptproblem ab. Und schnell findet man auch einen der angeblichen „Täter“. Selbstverständlich ist es ein Hund, der erstens kastriert war und zweitens einer Tierschutzorganisation gehört. So kann man auch gleich die Einwände der Tierschutzorganisationen abschmettern. Schliesslich haben ja diese versagt. Denn trotz Kastration hat dieser Hund ein Kind getötet, also hat man den Beweis erbracht, dass die Kastrationsprogramme keine Lösung darstellen. Die Tiere müssen also alle getötet werden, unabhängig davon ob sie gesund sind und keine Gefahr darstellen.
Ein Vorfall, selbst wenn er auch noch korrekt dargestellt wäre, führt also zur Sippenhaftung aller dieser Spezies angehörenden Lebewesen. Soll man nun auch alle Haie, Löwen, Bären, Luchse, Schlangen etc. zur Massentötung freigeben, nur weil sie einmal einen Menschen getötet haben – unabhängig von den Umständen? Und wenn es ja auch kriminelle Menschen gibt, müsste man gestützt auf dieser Logik dann nicht gleich auch die gleichen Konsequenzen ziehen?
Die Menschheit hat sich aber von solchen brutalen Massnahmen abgewandt. Das dreizehnte Zusatzprotokoll zur EMRK vom 3. Mai 2002 schafft die Todesstrafe sowohl in Friedens- als auch Kriegszeiten sowie bei unmittelbarer Kriegsgefahr ab. Sowohl in der Schweiz als auch in Rumänien (!) ist dieses Erklärung seit 2003 in Kraft und hat sich zu dieser Vorgabe bekannt. Rumänien ist mittlerweile zwar Mitglied der EU, doch hat man heute das Gefühl, dieser Staat habe nichts aus seiner eigenen grausamen Geschichte gelernt und befinde sich noch immer im Mittelalter, als Lynchjustiz und Hexenverbrennungen noch an der Tagesordnung waren. Ein Land, das sich zu Europa bekennt, sollte die entsprechenden Werte auch leben, und zwar zu jeder Zeit und in allen Aspekten, auch Tieren gegenüber. Massentötungen sind keine Option, sie sind es noch nie gewesen und werden es auch nie sein.
Wie sagte schon Mahatma Gandhi: „Das Niveau eines Landes und dessen moralische Werte können an der Weise, wie ihre Tiere behandelt werden, gemessen werden.“ Das stellt für Rumänien kein gutes Zeugnis aus.
Rumäniens Parlament hat entschieden. Die Hunde sollen getötet werden. Wie sie schliesslich getötet werden, steht noch in den Sternen. Man spricht zwar von Euthanasie, wer jedoch hinter die Fassaden von gewissen städtischen Tierheimen geschaut hat weiss, allzu oft werden die Hunde totgeschlagen oder bekommen ohne Narkose eine T61 Spritze und sterben qualvoll.
Ich habe in meinen über 25 Jahren im Tierschutz schon vieles erlebt, aber ich bin dennoch erschüttert über so viel Grausamkeit einer Regierung eines Europäischen Landes. Aber ich verspreche: NetAP wird das Engagement in Rumänien verstärken. Wir lassen die Hunde in dieser dunklen Stunde nicht im Stich!
Esther Geisser, 10.9.2013